Ein Streifzug durch die Kunst des Haiku

Dieser Text beschäftigt sich mit der Frage, was Haiku sind.

Einfach ausgedrückt: Haiku sind japanische Kurzgedichte, bestehend aus siebzehn Silben in der Abfolge 5 : 7 : 5. Diese Definition dürfte weithin bekannt sein. Nicht neu ist Euch sicherlich auch, daß Haiku sich mit Natur im weitesten Sinne und Leben befassen und häufig Jahreszeitthemen enthalten.

Das Erklärt sicherlich nicht, die Faszination, die derzeit von Haiku ausgeht und diese Form von Kurzlyrik in weiten Teilen der Welt berühmt gemacht hat. Was aber können Gründe für den Kometenhaften Aufstieg des Haiku sein?

Ich glaube, es ist hauptsächlich die Kürze des Gedichtes, die eine heutzutage ungewohnt präzise, scharfe Aussage verlangt, gleichzeitig aber zum Auslassen verleitet. Dadurch entsteht zum Einen schnell ein eindeutiges Bild vor dem inneren Auge des Lesers, zum Anderen wird der Aufmerksame bei näherer Betrachtung des Bildes schwarze Flecken entdecken, die er füllen muß. Ich möchte ein Beispiel geben:

Brücke im Nebel
und in der Mitte weiß ich
nicht, von wo ich kam

Das Bild ist klar: eine Brücke, ich stelle mir einen schmalen Steg vor, von dichtem Nebel umhüllt. Ein Mann (oder eine Frau?) betritt die Brücke, setzt vorsichtig einen Fuß vor den Anderen. Er (sie) kann kaum sehen, was vor ihm liegt, was hinter ihm. Das Ufer verschwindet. Als er in der Mitte ankommt, bleibt er stehen, blickt sich ratlos um und weiß nicht weiter.

Seltsam: Es gibt keinen Ausdruck der Bewegung im Gedicht, und doch scheint für mich unzweifelhaft, daß das lyrische Ich sich bewegt, genau bis zur Mitte des zweiten Verses. Dies ist ein Teil des Geheimnisses des Haiku: Dinge auszudrücken, ohne sie auszusprechen. Und: zum Weiterdenken anzuregen. Denn: objektiv betrachtet macht das Gedicht nicht viel Sinn. Warum sollte man vergessen, wo vorne und wo hinten ist? Das vorhin noch so natürliche Geschehen scheint unwahrscheinlich. Es drängt sich die Frage auf, was die Brücke, was der Nebel wirklich ist. Und, woher die Ratlosigkeit des lyrischen Ich rührt.

Dies mag als kleines praktisches Beispiel genügen. Vielleicht vertieft der Ein oder Andere ja meine oben angedeuteten Gedanken oder ergänzt das umrissene Bild.

Die Popularität des Haiku ist sicherlich auch dadurch bedingt, daß es, so meine ich, recht einfach ist, ein einfaches Haiku zu dichten. Geht in den Garten, stellt euch auf den Balkon, genießt eine ruhige Minute auf dem Schulhof und laßt euer Gefühl eine Situation oder ein Bild wählen! Beschreibt euren Eindruck kurz, so präzise wie nur möglich, und versucht, Worte zu finden, die eine Einhaltung der Silbenfolge 5 : 7 : 5 ermöglichen. Ein Haiku ist erschaffen. Die eigentliche Kunst des Dichtens ist aber, die Kanten abzuschleifen, das Gedicht rund zu machen. So manches Haiku muß zahlreiche Revisionen über sich ergehen lassen, aber nie hat der Dichter das Gefühl, es sei vollendet. Andere Siebzehnsilber können nicht mehr verändert werden, sind von Anfang an vollkommen. Ich glaube, hier setzt vor allem die Sprache, oder besser das Sprachvermögen die Grenze.

Auch hierzu möchte ich ein Beispiel geben, das zeigt, wie ich ein eigenes Haiku nachträglich bearbeitet habe. Die Urfassung lautet:

Am Ufer raschelt
Bambus, wie Glocken aus Holz
Vom Winde bewegt

Der Fehler liegt auf der Hand: Glocken rascheln nicht. Anfangs dachte ich, darüber hinwegsehen zu können. Bald aber mußte ich den ersten Vers ändern: Am Ufer erklingt...

Ich finde, es passt nicht. Nächster Versuch: Hör' nur, am Ufer...

Nachdem ich mir das Gedicht einige Male vorgelesen hatte, stellte ich den Vers noch um: Am Ufer, hör' nur...

Aber auch hier sind Verbesserungen möglich:

Am Ufer, hörst du
Bambus, wie Glocken aus Holz
Vom Winde bewegt

D ies ist das derzeitige Ende meines Schleifens und auch dieses Textes.

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Last changed Friday, 28/06/2002

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